SCHWALMSTADT. Ich überlege, was passiert, wenn in einem großen Industrietrieb die Geschäftsführung entscheidet, ein wichtiges Bauteil bei Zulieferer A zu kaufen, aber der Chef des Einkaufs – entgegen aller Absprachen – mit Zulieferer B einen Vertrag schließt?
Oder noch besser: wenn eine „kleine“ Reinigungskraft in einer Hühnerfarm die Weisung hat, nicht mit Fipronil zu reinigen und sie tut es doch? Wie lange würde es dauern, bis sich beide ein neues Betätigungsfeld suchen dürfen? Wenn ein Bundesminister in Brüssel gegen eine Weisung handelt, ist das hingegen nicht unmittelbar gefährlich für den Job…
Was macht das Gift eigentlich? Es tötet alles ab, was Blätter hat und wird deshalb vor der Aussaat ausgebracht. Dann wächst also nichts mehr und der Boden ist leicht zu bearbeiteten. Der Clou: Pflanzen kann man gentechnisch so verändern, dass sie gegen dieses Herbizid unempfindlich werden. Dann lässt sich das Gift sogar ganzjährig einsetzen…
Landwirte argumentieren gerne mit der Unumgänglichkeit des Ausbringens von Pestiziden. Ob Herbizide oder Insektizide, die Pflanzenschutzmittel, wie sie liebevoll auch genannt werden, wenn man den Giftbegriff umgehen will, sollen die Landwirtschaft einfacher machen und natürlich wirtschaftlicher. Erlaubt ist alles, was nicht unmittelbar schädigt und dem Landbau nützt.
Das ist so, als würden wir an Gerüsten keine Geländer mehr anschrauben, weil sich Häuser dann billiger bauen lassen. Solange keiner dahin tritt, wo er nicht hinlatschen darf, kein Problem! Wir könnten Autobahnen auch billiger und wirtschaftlicher machen, wenn wir die Mittelstreifen weglassen. Solange sich alle an die Regeln halten, nicht zu schnell fahren, nicht betrunken und unausgeruht fahren, kein Problem!
Das machen wir aber aus gutem trotzdem nicht, nur weil es dann wirtschaftlicher wäre. Das schöne ist außerdem, dass nicht der einzelne Bauer einen Vorteil von Wirkstoffen wie Glyphosat hat, sondern entweder alle oder keiner. Deshalb ist es gut, dass die EU das für ganz Europa regelt. Und weil auch der wichtigste Konkurrent in der Produktion, die USA, das Pestizid wegen seiner möglichen Krebsgefahr schon verboten hat, gibt es eigentlich keinen echten Wettbewerbsnachteil aus einem Verbot.
Seit der Mensch entschieden hat, sein Dasein als Jäger und Sammler aufzugeben, hat es immer Landwirtschaft gegeben. Lange bevor Pestizide erfunden wurden hat sie funktioniert. Es geht um Effizienz und letztlich um billig herzustellende Lebensmittel. Dabei reduzieren wir lästige Mücken und Ungeziefer gleich mit, die uns plagen und nerven.
Die Kehrseite ist, dass wir gerufene Geister schwer wieder loswerden. Gerade haben wir erfahren, dass die Artenvielfalt der Insekten dramatisch abnimmt und sich die Gesamtpopulation der Insekten der niedrigen Schwelle nähert, unter der auch unsere Lebensmittel nicht mehr funktionieren, weil die Bestäubung ausfällt. In China, wo Personal noch billig ist, wird in einigen Regionen schon manuell bestäubt. Und längst ist Glyphosat in Lebensmitteln angekommen, weil das Zeug eben nicht immer kontrolliert angewendet wird. Und wenn sich der Krebsverdacht bestätigt, freut sich die Chemieindustrie ein zweites Mal, den Chemotherapien sind ein einträgliches Geschäft.
Wirtschaftlichkeit ist auf Sicht also relativ. Irgendwann wird’s dafür richtig teuer. Aber diese Kosten trägt dann der Staat. Der könnte aber jetzt vorausschauend handeln und genau das verhindern.
Ihr
Rainer Sander