MARBURG. Der durch den erneuten Sieg Donald Trumps bei der US-Präsidentschaftswahl entstandene Pulverdampf hat sich noch gar nicht zu legen begonnen, da überschlagen sich die Nachrichten der deutschen Innenpolitik: Die Ampel ist beendet. Dass die Koalitionsverhandlungen zwischen CDU, SPD und BSW in Sachsen gescheitert sind und bereits am Dienstag ein Gespräch zwischen Jörg Urban (AfD) und Michael Kretschmer (CDU) stattfand, verkommt angesichts dieser beiden großen Nachrichten zu einer Randnotiz.

Lange wurde wahlweise gehofft oder gefürchtet, dass die Ampel bis zum Ende der laufenden Wahlperiode zusammenbleiben würde, dass sich die drei Partner noch ein letztes Mal „zusammenreißen“ würden. Erst recht nach der Wahl Donald Trumps, eines dezidiert antitransatlantischen US-Präsidenten. Offensichtlich ist es nicht so gekommen. Unklar ist im Moment noch, wie es genau zu dem Bruch der Koalition gekommen ist, was in der Sitzung des Koalitionsausschusses am Mittwochabend geschehen ist. Umso interessanter werden zahlreiche Berichte in den kommenden Wochen.

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Stimmen, die allerdings in dem kürzlich veröffentlichten Papier Christian Lindners zu einer Wirtschaftswende in Deutschland eine Parallele zu einem ähnlichen Papier des damaligen Bundeswirtschaftsministers Otto Graf Lambsdorff 1982 sehen, scheinen sich zu bewahrheiten: Wieder leitete ein solches Papier das Ende einer Koalition ein, in der die FDP als Juniorpartner vertreten war.
Dieses Papier stand beispielhaft für die gesamte Attitüde der FDP als Teil der Bundesregierung: Lindner stellte Kernforderungen der FDP als Bedingungen für ein Weiterbestehen der Ampel-Koalition auf, wohl wissend, dass die anderen Regierungsmitglieder und -parteien von den Inhalten des Papiers nur brüskiert sein könnten. Erneut zeigte sich der Versuch der FDP, das eigene Profil innerhalb der Regierung dadurch zu stärken, immer wieder auf eigene Fundamentalforderungen zu verweisen. Dass sich eine Strategie der Blockade und des steten Verweisens auf das eigene Parteiprogramm in den letzten drei Jahren nicht als Erfolgskonzept erwiesen hat, scheint allerdings bis zuletzt durch die FDP nicht als mögliche Erklärung der wiederholt desaströsen Wahlergebnisse in Betracht gezogen worden zu sein. Schlussendlich scheint es also nur logisch, dass Olaf Scholz den Bundespräsidenten gebeten hat, Christian Lindner zu entlassen. Christian Lindner hat diese Entlassung mindestens billigend in Kauf genommen, wenn nicht sogar provoziert, und der Bundesrepublik insbesondere im Verhältnis zu den europäischen und internationalen Partnern (erneut) einen Bärendienst erwiesen.

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Wie es weitergeht, ist in vielerlei Hinsicht unklar, trotz aller Ankündigungen hinsichtlich einer Vertrauensfrage des Bundeskanzlers im Januar. Ob es der rot-grünen Minderheitsregierung gelingt, noch wichtige legislative Vorhaben in den Bundestag einzubringen und zu verabschieden, ist sehr fraglich, schloss die Union doch zuletzt eine Koalition mit der SPD aus. Das Vorhaben von Olaf Scholz, die Vertrauensfrage erst im kommenden Jahr zu stellen, scheint dennoch gewinnbringend zu sein. Zwar dauert es somit länger, bis es (mutmaßlich) zu Neuwahlen kommt, Neuwahlen und ein Regierungswechsel noch vor dem Jahreswechsel scheinen allerdings ohnehin sehr unrealistisch, selbst wenn die Vertrauensfrage in der kommenden Woche gestellt würde.

So hat sich der Pulverdampf des einen Ereignisses – der US-Präsidentschaftswahl – noch nicht gelegt, er wird in Deutschland aber schon von dem des Koalitionsbruchs überschattet. Es wäre verkürzt, aufgrund der Ereignisse des gestrigen Tages davon auszugehen, dass diese Schnelllebigkeit das „neue Normal“ sei, dass man sich in der aktuellen Weltpolitik auf keine Konstanten mehr verlassen könne, dass von nun an alles schlecht werde. Trotzdem ist der gestrige Tag eine Abfolge hochrelevanter politischer Ereignisse, die die deutsche und die internationale Politik für die nächsten Wochen, Monate und Jahre charakterisieren und verändern werden. So viel ist sicher. Unsicher ist hingegen, wie und in welche Richtung es von hier an weitergeht.

Linus Dietrich

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