Verwaltungsgericht erlässt einstweilige Anordnung
KASSEL | GUDENSBERG. Wer gerne austeilt, muss nicht zwangsläufig auch gerne einstecken. Am 6. März 2024 erging ein Beschluss der 3. Kammer des Verwaltungsgerichts Kassel zu einem Eilantrag des AfD-Kreisverbands des Schwalm-Eder im Wege der Einstweiligen Anordnung. Stattgegeben wurde einem AfD-Antrag gegen Bürgermeisterin Sina Massow und den Magistrat der Stadt Gudensberg.

Sie werden dazu verpflichtet, einen Videopost zu löschen. Auf den sozialen Netzwerk-Kanälen der Stadt Gudensberg, insbesondere bei Facebook und Instagram, war dies am 25. Januar 2024 online gestellt worden. Damit verbunden ist die Maßgabe, eine erneute Veröffentlichung zu unterlassen. So ist es im Urteil und einer Pressemitteilung des Verwaltungsgerichts zu lesen. Nach Veröffentlichung des Urteils mit dem Aktenzeichen: 3 L 368/24.KS ist dies nun allerdings dauerhaft als Zitat zu lesen.

Staatsorgane müssen im politischen Wettbewerb Neutralität wahren

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Der Aufruf „Lasst uns gemeinsam weiterkämpfen, aber lasst uns nicht nur auf die Straße gehen und laut demonstrieren, sondern lasst uns auch auf die Menschen, die manchmal nicht wissen, wo der Ausweg sein soll und dann da vielleicht dazu neigen die AfD zu wählen, verstehen und sie zu unterstützen“ verletze, so befand das Gericht, das Recht des Antragstellers, als politische Partei auf Chancengleichheit im politischen Wettbewerb. Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 21 des Grundgesetzes (GG) umfasst nach Auslegung des Gerichts das Recht der Parteien, chancengleich an der politischen Willensbildung des Volkes mitzuwirken. Dies setze voraus, dass Staatsorgane im politischen Wettbewerb der Parteien Neutralität wahren.

Mit den abschließenden Aussagen in der Videobotschaft habe die Bürgermeisterin explizit in ihrer amtlichen Eigenschaft und damit zugleich als Repräsentantin des presserechtlich verantwortlichen Magistrats der Stadt Gudensberg öffentlich gegen die Partei des Antragstellers Stellung bezogen und damit die Pflicht zur Neutralität verletzt. Damit, so die Presseinformation des Gerichts, werde nicht lediglich dazu aufgerufen, für eine wehrhafte Demokratie einzutreten und zu demonstrieren. Vielmehr würden die Adressaten der Videobotschaft dazu aufgerufen, auf diejenigen Menschen zuzugehen, die infolge ihrer Sorgen und ihrer Unkenntnis eines Auswegs zum Wählen der AfD neigen könnten. Um diese Menschen dahingehend zu unterstützen, sie vor einer potenziellen Wahlentscheidung zugunsten der AfD zu bewahren.

Glaser: Notwendig, um Demokratie im Gemeinwesen lebendig zu erhalten

Damit gehe der Versuch einher, den politischen Willensbildungsprozess und Diskurs in der Stadt Gudensberg und damit zugleich im Gebiet des Kreisverbands der AfD zu deren Nachteil zu beeinflussen.

„Selbstverständlich“, so Renate Glaser, die Sprecherin des klagenden AfD-Kreisvorstandes, „spreche niemand gesetzgebenden oder verwaltenden Körperschaften das Recht ab, am öffentlichen Diskurs teilzunehmen. Dies sei nicht nur verfassungsrechtlich garantiert, sondern auch notwendig, um Demokratie im Gemeinwesen lebendig zu erhalten. Es verletze jedoch das Recht politischer Parteien, gleichberechtigt am Prozess demokratischer Meinungs- und Willensbildung teilzunehmen, „wenn Staatsorgane parteiergreifend zu Gunsten oder zulasten einer Partei Stellung beziehen“.

Auf Entscheidung des Verwaltungsgerichts Kassel geht auch die beklagte Bürgermeisterin, Frau Sina Massow ein: „Als gewählte Bürgermeisterin sehe ich es als meine Pflicht und Verantwortung, die Bürgerinnen und Bürger unserer Stadt zu informieren und sie zur Teilnahme an demokratischen Prozessen zu ermutigen. In diesem Sinne habe ich in einer Videobotschaft dazu aufgerufen, sich für unsere Demokratie starkzumachen. Es war mein Anliegen, das Bewusstsein für aktuelle politische Themen zu schärfen und das Engagement der Bürgerinnen und Bürger zu fördern.“

Massow: Absicht, demokratisches Engagement in Gudensberg zu stärken

Daher war es mir auch besonders wichtig, im Rahmen der Kundgebung für die Ukraine am 3. März 2024, gemeinsam mit meinen Bürgermeisterkollegen aus dem Chattengau, dafür ein Zeichen zu setzen. Ich möchte klarstellen, dass mein Aufruf nicht darauf abzielte, eine politische Partei zu diskreditieren oder den politischen Wettbewerb zu beeinflussen. Meine Absicht war es vielmehr, das demokratische Engagement in unserer Stadt zu stärken, die Vielfalt der Meinungen zu fördern und gemeinsam gegen Radikalismus und Intoleranz einzustehen.“

Die Entscheidung des Gerichts respektierend, habe sie das Videostatement aus den sozialen Medien löschen lassen. Weil Sina Massow als Bürgermeisterin einen Eid auf das Grundgesetz und die freiheitliche demokratische Grundordnung geleistet habe, fühle sie sich verpflichtet, die demokratischen Prinzipien zu wahren und die Grundrechte aller Bürgerinnen und Bürger zu schützen: „Ich werde mich auch weiterhin für demokratische Werte und den Schutz unserer Verfassung einsetzen. Das ist ein Versprechen! Jegliche Form von Extremismus, sei es rechts oder links, lehne ich entschieden ab. Ich stehe für eine weltoffene und tolerante Gesellschaft.“

Gegen den Beschluss können beide Seiten innerhalb von zwei Wochen eine Beschwerde zum Hessischen Verwaltungsgerichtshof einlegen. (rs)

Foto:

Sina Massow (2. V. r.) bei der Kundgebung am 3. März in Gudensberg mit Staatssekretärin MdB Bettina Hoffmann, Bürgermeister Thomas Petrich (Edermünde), Bürgermeister Frank Grunewald (Niedenstein) und Landrat Winfried Becker © Foto: Rainer Sander

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