STAVO beschlussunfähig: lauter Kranke, SPD widerstandsfähig
SCHWALMSTADT. Stadtverordnetenvorsteher Reinhard Otto (CDU) eröffnete heute die Sitzung der Stadtverordnetenversammlung in Schwalmstadt um 19:08 Uhr, erwähnte – wie in Kommunalparlamenten üblich – alle 17 Geburtstage seit Oktober (letzte Sitzung), stellte um 19:13 Uhr die mangelnde Beschlussfähigkeit fest und beendete die Sitzung um 19:17 Uhr.

Eine regelrechte Katastrophe hat die Fraktionen von CDU, FDP, LINKE, GRÜNE und FW ereilt. Bis auf Reinhard Otto (CDU) und MdEP Engin Eroglu (FW) sind tatsächlich alle Stadtverordneten dieser 5 Fraktionen – ähnlich wie beim Haupt- und Finanzausschuss am Dienstag – krank, trotz Lockdown auch abends noch dienstlich/geschäftlich verhindert, familiär gebunden oder haben andere Gründe als Entschuldigung für ihre Abwesenheit genannt. 23 Entschuldigungen liegen vor.

Schicksal nicht „gerecht“ verteilt – oder gar kein Schicksal?

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Liegengebliebene Unterlagen in „Fraktionsstärke“ © Foto: Rainer Sander

Natürlich gilt auch die Sorge vor Corona. Die war aber nicht gleichmäßig verteilt und diesen Bedenken hätte man mit gemeinsamer Reduzierung begegnen können. Von 14 sozialdemokratischen Stadtverordneten fehlten nur 2. Die Resilienz ist unter „Sozis“ also am ausgeprägtesten. Bei MdL Heidemarie Scheuch-Paschkewitz (LINKE) kann man zumindest im Sitzungskalender des Landtages nachlesen, dass die heutige Sitzung bis nach 20 Uhr terminiert war.

Wenn es alles so stimmt, ist es der schwerste Schicksalsschlag, den ein hessisches Kommunalparlament in den letzten Jahren ereilt hat. Wenn es indes nicht stimmt, gibt es eine Menge Leute unter den Schwalmstädter Stadtverordneten, die für dieses Verhalten in ihrem Job eine fristlose Kündigung, mindestens aber eine Abmahnung erhalten hätten. Ein Kommunalpolitiker hat so etwas nicht zu befürchten, er ist nicht angestellt und riskiert nur ein paar wenige Euro Aufwandsentschädigung – deutlich unter Mindestlohn – und vielleicht die Erkenntnis von ein paar Wählern, dass man solche Parlamentarier nicht braucht.

Die BfS-Frage, ob man Parteien braucht, ist jetzt beantwortet?

Tatsächlich haben einige der Fehlenden auch zwischen Haupt- und Finanzausschuss und Stadtverordnetenversammlung ihrer Arbeit nachgehen können, werden auch in wenigen Stunden wieder ihrer Tätigkeit nachgehen und die Andeutung von Stadtverordnetenvorsteher Reinhard Otto am Rande der Sitzung, er habe Fraktionsabmeldungen nicht akzeptiert, sondern einzelne, begründete Entschuldigungen von allen verhinderten Stadtverordneten verlangt, deutet daraufhin, dass es so etwas wie eine Boykottabsicht gegeben haben könnte. Es gibt allerdings Menschen, die es mehr schätzen, wenn jemand in solch einem Fall das Visier hochklappt und sagt, was es wirklich ist, anstatt Krankheit, Sorge und Verhinderung womöglich nur vorzutäuschen.

Leere Bänke bei CDU, FSP, LINKEN, GRÜNEN und FW © Foto: Rainer Sander

Von 37 Stadtverordneten waren nur 14 anwesend (12 x SPD, 1 x CDU, 1 x FW), um beschlussfähig zu sein, hätten es 19 sein müssen. Tatsächlich hat nh24 schon am Wochenende erfahren, dass mindestens 22 Stadtverordnete verhindert sein werden und einer der Gründe soll die Wahlkampagne der mutmaßlichen „Bürgermeisterpartei“ Bürger für Schwalmstadt (BfS), die den Slogan plakatiert hatte, dass man Parteien nur im Bundestag und im Landtag brauche, nicht aber in einem Kommunalparlament. Wollten 5 Parteien auch diese Frage jetzt schlüssig beantworten?

Entscheidet SPD kommenden Donnerstag mit absoluter Mehrheit?

Wenn sich gestandene Kommunalpolitikerinnen und -politiker von solchen Äußerungen „umpusten“ lassen, dann steht natürlich die Frage im Raum, ob das die Qualität ist, die man im Parlament haben will… Es könnte sich schon jemand fragen, ob man Menschen wählen will, die bei einer Äußerung, mit der die Freien Wählergemeinschaften und Bürgerlisten schon seit Jahrzehnten Plätze in den Kommunalparlamenten erkämpfen, einfach beleidigt und pubertierend nicht mehr hingehen?

Es bringt auch gar nichts, außer einer Woche Verzögerung. Nächsten Donnerstag, daran ließ Stadtverordnetenvorsteher Reinhard Otto keinen Zweifel, wird auf jeden Fall getagt und auch abgestimmt. Nach § 53 (2) der Hessischen Gemeindeordnung (HGO) ist eine mit der gleichen Tagesordnung erneut einberufene Sitzung, in jedem Fall beschlussfähig. Bleibt es so, hat die SPD erstmals seit einigen Legislaturperioden die absolute Mehrheit. Für Reinhard Otto ist – wie in anderen Städten und Gemeinden Usus – auch eine (nach Absprache) reduzierte Teilnehmerzahl denkbar. Er will mit den Fraktionen morgen darüber sprechen, dass pandemiebedingt 22 Stadtverordnete kommen. Damit wären die Stimmverhältnisse und die Beschlussfähigkeit gleichzeitig zu wahren.

Investoren und Kindergarteneltern warten auf Entscheidungen

Tatsächlich stehen Entscheidungen, wie die Aussetzung der Kita-Gebühren während der pandemiebedingten Schließung auf der Tagesordnung. Das ist brennend wichtig für alle Kindergarteneltern, bei denen es in Zeiten von Kurzarbeit und Betriebsschließungen um jeden Euro in der Haushaltskasse geht. Da wären Befindlichkeiten von Parlamentariern ein richtig schlechtes Argument.

Viel gravierender ist die Tatsache, dass einige Investoren in den Schwalmstädter Bau- und Gewerbegebieten schon den Ausfall der zuletzt angesetzten Sitzungen aushalten mussten und von denen einige tatsächlich abspringen könnten, schon deshalb, weil sie die Alternative zu Investitionen in anderen Kommunen hätten. Das wäre in der Tat ein nicht entschuldbarer Schaden für die Stadt, der lange über die bevorstehende Kommunalwahl hinauswirken würde. Welcher Investor sieht sein Geld eigentlich gut angelegt in einer Stadt, in der Beschlüsse deshalb nicht zustande kommen, weil das ganze Parlament krank ist, krankfeiert oder zu „Übersprungshandlungen“ neigt? Egal was es ist, es ist nicht gut! Es hat ein bisschen was von Bananenrepublik.

Ein Haushalt täte gut – trotz anstehender Kommunalwahl

Auch die Einbringung des Haushaltes steht auf der Tagesordnung. Der würde dann am 4. März, unmittelbar vor der Kommunalwahl verabschiedet – oder auch nicht. Vielleicht wollten einige Stadtverordnete auch das verhindern? „Bleiben Sie gesund“, wünschte Reinhard der SPD-Fraktion und Engin Eroglu. Das wäre in der Tat wünschenswert! (Rainer Sander)

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