Bürgerversammlung zum „Containerdorf“ für Geflüchtete
FRIELENDORF. Die Gemeinde Frielendorf und der Schwalm-Eder-Kreis haben Wort gehalten und zu einer Bürgerversammlung eingeladen. Thema: Container für 60 Geflüchtete auf dem früheren Sportplatz in Spieskappel. „Ins Hassia“ gehen viele nur zu Himmelfahrtsmarkt, Karneval oder Feiern. Knapp 200 Bürgerinnen und Bürger waren gestern Abend gekommen und sie hatten viele Fragen.

Wut und Ärger aus der Bürger-Fragestunde nach der jüngsten Gemeindevertretersitzung sind vielleicht nicht verschwunden, aber finden ihren Platz bei Facebook und Instagram oder im Kommentarbereich von nh24. Angst ist stets der schlechteste Ratgeber und wer sich informiert, weiß schließlich mehr.

Angenehme Frielendorfer Streitkultur

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Obwohl die Versammlung keine Kuschelstunde war, blieb die Diskussion zu jeder Zeit sachlich und friedlich. Die Gesprächsregeln, verkündet vom Bürgermeister, waren weitgehend geklärt: keine rassistischen Äußerungen, bitte eine Vorstellung mit Namen und nur konkrete statt allgemeiner Fragen. Das hat funktioniert. Informationen und Antworten auf viele Fragen gab es von:

  • Isabelle Vaupel – Vorsitzende der Gemeindevertretung Frielendorf
  • Jens Nöll – Bürgermeister Frielendorf
  • Jürgen Kaufmann – Erster Beigeordneter Schwalm-Eder-Kreis
  • Katrin Pretsch – Schutzfrau vor Ort
  • Lars Werner – Fachbereichsleiter Schwalm-Eder-Kreis
  • Martin Stumpf – Pressesprecher der Polizeidirektion Schwalm-Eder

Flüchtlinge aus der Ukraine stellen die größte Gruppe

Wenn die 60 neuen Flüchtlinge in Frielendorf angekommen sind, dann werden es insgesamt so viele sein wie Ende 2022, erklärte Bürgermeister Jens Nöll zu Beginn der Bürgerversammlung im Saal des Hotel Hassia.

Lars Werner, Leiter des Fachbereichs Sozialverwaltung beim Kreisausschuss Schwalm-Eder, erklärte den Königsteiner Schlüssel. Er bestimmt die Verteilung von Geflüchteten nach Steuerkraft und Einwohnerzahl der Bundesländer. In Hessen wird dann nach der Einwohnerzahl von Landkreisen verteilt. Eine Wahl hat der Schwalm-Eder-Kreis dabei nicht. 4 Prozent der Geflüchteten muss er stets aufnehmen. 5 bis 10 pro Woche kamen vor dem Ukrainekrieg und das entsprach immer gleichzeitigen Fluktuation. Es wurden nicht mehr, aber auch nicht weniger. Mit Beginn des Ukrainekrieges stieg die Zahl und zusätzliche Anmietung von Wohnungen wurde nötig. Im Sommer kamen dann 65 pro Woche, nur noch 20 wanderten ab. Das ergibt netto ein Plus von 45 pro Woche.

Flüchtlinge haben aktuell einen Anteil von 2,7 Prozent im Landkreis

Aktuell sind knapp 5.000 Geflüchtete im Kreis untergebracht, weniger als 2.800 aus der Ukraine und etwa 1.800 aus dem Rest der Welt. Würde morgen der Ukrainekrieg enden, wären mehr als die Hälfte wieder weg. Bei 183.000 Einwohnern entspricht die aktuelle Zahl einem Anteil von 2,7 Prozent an der Bevölkerung. Dabei gibt es erhebliche Unterschiede. Schwarzenborn muss 12 Prozent im Vergleich zur Einwohnerzahl „verkraften“, die Kreisstadt Homberg 7 Prozent. In Frielendorf sind es bisher 1 Prozent. Damit, so Werner, war die Gemeinde „an der Reihe“.

In der ehemaligen Bergbau-Gemeinde entsteht mit 60 Plätzen eine vergleichsweise kleine Einheit, was den Bestrebungen des Kreises nach überschaubaren Einheiten entspricht, die wirtschaftlich zu führen und gut zu handhaben sind und die eine möglichst hohe Akzeptanz vor Ort ermöglichen. In anderen Regionen gäbe es weit größere Konzentrationen. Zur Ausstattung gehören Wohncontainer für jeweils vier Personen, außerdem Koch-, Sanitär- und Aufenthaltscontainer.

Körle ist wie Frielendorf, hat aber weniger als halb so viele Einwohner

Die Unterkunft in Körle ist fast deckungsgleich aufgebaut und hat die identische Größe. Bürgermeister Mario Gerhold war der Einladung nach Frielendorf gefolgt. In der Bürgersprechstunde nach der jüngsten Sitzung der Gemeindevertretung Frielendorf in Spieskappel habe Körle wie ein Negativbeispiel gewirkt. Tatsächlich schließe sich niemand in der Gemeinde an der Fulda nachts ein, viele Bürger hätten noch gar nicht bemerkt, dass die Flüchtlinge tatsächlich angekommen sind und das bei nur 3.000 Einwohnern, während in Frielendorf 7.300 Menschen leben. In Körle sind seit März überwiegend Alleinreisende Männer aus Afghanistan, dem Irak und Syrien angekommen.

  • Markus Wöll fühlt sich verarscht und belogen. Er ist verwundert, wie schnell das geht und vermutet, dass dem Kreis inzwischen bestimmt auch Wohnungen als Alternative angeboten wurden. Es sei doch sicher schon alles entschieden gewesen? Lars Werner widerspricht. Tatsächlich verlange die Ankündigung des Landes ein hohes Tempo. Wenn die tatsächliche Zuweisung erfolgt, bleibt gerade noch eine Woche bis zur Unterbringung. Vor einem Jahr, erklärt der Fachbereichsleiter, sei man allerdings schon einmal in Frielendorf gewesen. Damals war der alte Edeka-Markt im Blick gewesen, was aber nicht ging. Jetzt war der Druck hoch. Und nein, bisher wurde noch keine einzige Wohnung als Alternative angeboten. Die wären allerdings dann interessant, wenn Asylverfahren positiv abgeschlossen werden, denn dann müssen sich die betreffenden Menschen eine eigene Unterkunft suchen.

Jede Menge Fragen – Andernorts heißt es: „Morgen kommt der Bus!“

  • Ein Bürger aus Obergrenzebach fragt, warum sich der Kreis der Anordnung nicht verweigere. Darauf meldet sich der Erste Kreisbeigeordnete Jürgen Kaufmann zu Wort. Es gibt keine Möglichkeit, sich gegen ein geltendes Gesetz zu stellen. Dann würde das Innenministerium Zwangsmittel anwenden können. Der Schwalm-Eder-Kreis sei einer der wenigen, der sich selbst kümmert. Andernorts wird der Bürgermeister angerufen und konfrontiert: „Morgen kommt der Bus!“
  • Eine Bürgerin möchte wissen, wo sie den rechtskräftigen Beschluss nachlesen kann. Das Gesetz ist – wie alle Gesetze – im Internet veröffentlicht, lautet die einfache Antwort. Die hessische Regelung kann hier nachgelesen werden.
  • Gibt es ein präventives Sicherheitskonzept, will eine Bürgerin wissen. Nein, aber es ist tagsüber immer jemand da und darüber hinaus stets erreichbar. Wie hoch wird der Steuerzahler belastet? Lautet eine andere Frage. Werner erklärt, das könne man nicht pauschal sagen, weil die Verhältnisse beispielsweise bezüglich Wasserversorgung oder Stromversorgung immer anders sind. Im schlimmstenfalls könne ein Strom Trafo 200.000 Euro kosten. Das wird in Frielendorf nicht der Fall sein, aber es ist nicht billig. Jürgen Kaufmann erklärt, dass das Land bezahlt. Bisher sei es für den Kreis immer kostendeckend ausgegangen. Bund und Länder seien gefragt.
  • Zum Thema Sicherheit meldet sich der Pressesprecher der Polizeidirektion Schwalm-Eder, Martin Stumpf, zu Wort: Er selbst war 7 Jahre in Ziegenhain und Homberg im Streifendienst: „Wir schauen regelmäßig nach dem Rechten. Wir sind präventiv tätig“, so sein Beitrag.
  • Hannah Braun aus Großropperhausen fragt: „Was kann Positives getan werden, wenn nicht das „Ob“, sondern nur das „Wie“ beantwortet werden. Werner: „Vor Ort Sprachkurse und ein ehrenamtlicher Helferkreis.“
  • Angesprochen auf Konflikte erinnert sich Jürgen Kaufmann an seine Bundeswehrzeit. Wer das erlebt hat, weiß wie die Situation mit 12 Männern, die man nicht kennt, auf engstem Raum ist. Je mehr man auf die Flüchtlinge zugeht, desto einfacher ist es.
  • Friedrich Haaß möchte wissen, „Wie gehen wir gemeinsam mit der Situation um? Gibt es einen strukturierten Tagesablauf? Findet professionelle Hilfe statt? Sollen Vereine helfen? Wie lange wird es dauern? Was kommt danach? Sind es Geduldete, Anerkannte oder Asylbewerber? Lars Werner arbeitet die Fragen ab: Ein hauptberuflicher Betreuer ist den ganzen Tag vor Ort. Gemeinnützige Arbeit ist im Bauhof möglich. Vereine können sich vorstellen. Mitarbeiter des Kreises haben Sprechzeiten für verwaltungstechnische Vorgänge. Und zum Status: „Ich weiß, wer nächste Woche, aber nicht wer übernächste Woche kommt. Aktuell vor allem aus der Ukraine, Afghanistan, Syrien, Türkei, Irak, Iran. Während des Asylverfahrens müssen Geflüchtete in Sammelunterkünften wohnen. Damit ist auch die Beantwortung von Fragen nach Familien und Männern klar.
  • Frau Stemmler interessiert, ob kulturell ferner Stehende „angeleitet“ werden.
  • Ulrike Friedrich kommt aus dem Rhein-Main-Gebiet und ergänzt: Menschen müssen Regeln lernen. Wer bringt ihnen den Umgang mit Frauen bei? Man dürfe nicht so weitermachen wie im Herkunftsland. Das könnten vielleicht am besten bereits integrierte Flüchtlinge vermitteln.
  • Die Antwort lautet: Ja, es beginnt beim Putzplan und endet beim verpflichtenden Integrationskurs. Es ist eine übersichtliche Einheit, in der jeden Tag etwas gesagt wird. Kurse nehmen in der Regel 98 Prozent der Geflüchteten wahr. Tatsächlich gibt es muttersprachliche Helfer, aber diese müssen zuverlässig sein.
  • Irgendwann fällt die Frage, ob Verhältnisse wie in der Treysaer Steingasse drohen? Martin Stumpf und Jürgen Kaufmann erklären, dort handele es sich nicht um Flüchtlinge, sondern um Mitbürger der EU mit Freizügigkeit. Anderer Status. Das Problem bestehe nicht nur in Treysa, weil es ein Geschäftsmodell von Immobilienbesitzern ist, Menschen in Osteuropa anzuwerben.
  • Günther Ehlert ärgert sich: „Ihr redet alles schön. Was ist, wenn die ersten E-Bikes geklaut werden?“ Martin Stumpf versichert: die Polizei kümmert sich präventiv und im Deliktfall. Bei Verdachtsmomenten ist Frau Pretsch als Schutzfrau vor Ort Ansprechpartnerin der Polizei in der Gemeinde. Ihre Kontaktdaten und Sprechzeiten sind auf der Internetseite der Gemeinde zu finden
  • Alexandra Berger fehlt die Menschlichkeit. Nur weil Menschen aus dem Ausland kommen, muss man nicht Angst haben.

Helfer und Menschen mit Ideen sind willkommen

Bürgermeister Jens Nöll schloss mit einem Aufruf: Jeder darf sich im Rathaus melden. 2015 musste der Arbeitskreis erst aufgebaut werden. Jetzt sind viele schon da. Es gibt bereits Angebote. Listen für Namen und E-Mails liegen aus. Er hofft auf die Bereitschaft, die Menschen auch kennenzulernen.

Isabelle Vaupel ergänzte: Wer Ideen hat, Frau Paul und Frau Kaiser im Rathaus sind Ansprechpartnerinnen, und schließlich erinnerte sie daran, dass Politiker, „die machen, was sie wollen“, in Wirklichkeit die Nachbarn und Vereinskameraden sind: „Wir halten ehrenamtlich den Laden am Laufen!“ Sie fordert auf: „Immer den direkten Weg gehen! Geben sie den Menschen eine Chance!“ Dafür gab es den lautesten Applaus des Abends.

Frielendorf ist eine Gemeinde, die mit Gästen schon immer umzugehen wusste. Wer sollte das – wenn die Angst vor dem/den Unbekannten (die im Übrigen auf beiden Seiten existiert) verflogen ist – besser können als die Silbersee- und Feriendorf-Gemeinde? (Rainer Sander)

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