Lebhafte Bürgersprechstunde im Marktflecken Frielendorf
FRIELENDORF. Ein wenig unübersichtlich war‘s schon am Montagabend im Spieskappeler Dorfgemeinschaftshaus. Von deutlich über 100 Gästen mussten die meisten über zwei Stunden lang stehen. Das sah schon ein bisschen so aus wie in einem Camp, in dem es an Plätzen fehlt … Es waren jedenfalls ziemlich genau so viele, wie der Marktflecken demnächst Flüchtlinge beherbergen wird.

Bürgermeister Jens Nöll verkündete im letzten verhandelten Tagesordnungspunkt der Frielendorfer Gemeindevertretung „Unterrichtungen“ die „magische Zahl“: 59 geflüchtete Personen sollen in einem Containerdorf auf dem ehemaligen Sportplatz von Spieskappel eine Weile leben. Mit den etwa 60, die schon verteilt im Gemeindegebiet leben, sind es schließlich 120. Das entspricht dann 1,6 Prozent der Bevölkerung. Das sind sächsische Verhältnisse und auch dort brodelt es am meisten, wo die wenigsten Flüchtlinge angekommen sind.

Information kam erst vor ein paar Tagen

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Mitte der vergangenen Woche gab es diese Informationen vom Kreis, die sofort an den Ortsbeirat weitergeleitet wurden. Für eine Informationsversammlung war noch keine Zeit, aber auch diese wird stattfinden. Frielendorf, so der Bürgermeister, komme nicht in die Situation Gemeindegebäude zu belegen. Eine solche Situation hat sich keiner ausgesucht. Er stellte damit auch klar, dass es kein Alleingang des Bürgermeisters ist. Die Anordnung kommt vom Landkreis und allein dieser ist für die Entscheidungen zuständig.

Mit der Weiterleitung an den Ortsbeirat machte die Information die Runde und in Instagram-, Telegram-, WhatsApp- oder Facebook-Gruppen wie „Frielendorf und Umgebung“ ging es seitdem vehement rund. Teilweise mussten die Administratoren eingreifen und versuchten zu versachlichen. Die ersten Hasskommentare tauchten auf und eine davon wird inzwischen auch strafrechtlich verfolgt.

„Bürgersprechstunde“ statt „Stille Post“

Es wurde, so Noll, sogar suggeriert, dass im DGH die Verwaltung für das Containerdorf untergebracht werde. Tatsächlich fand dort ausschließlich die heutige Sitzung der Gemeindevertretung statt mit der anschließenden – übrigens obligatorischen – „Bürgersprechstunde“, über die hier berichtet wird. Die „Stille Post“ aus Kinderzeiten funktioniert also auch im erwachsenen Frielendorf noch perfekt.

Der Bürgermeister erklärte weiter, man könne die Unterbringung nicht nur den Nachbarkommunen überlassen, die wie das wesentlich kleinere Schwarzenborn bereits über 200 geflüchtete Menschen aufgenommen hätten. Im Übrigen gäb‘s für die Gemeinde kein Geld für die Unterbringung.

Zwölf Schlafcontainer für 30 Familien- und 29 Einzel-Geflüchteten

André Teumer-Weißenborn, Integrationsbeauftragter beim Schwalm-Eder-Kreis, erklärte auf die vielen Fragen der versammelten Bürgerinnen und Bürger, dass 12 Schlafcontainer, 4 Aufenthaltscontainer, Küchencontainer und Sanitärcontainer aufgestellt werden. Außerdem wird es einen Spielplatz für die Kinder geben, was mit vereinzelt höhnischem Gelächter quittiert wurde.

Lars Werner, Leiter des Fachbereiches Sozialverwaltung verwies auf den Königsteiner Schlüssel, nach dem Hessen 7,5 Prozent der bundesweit ankommenden Flüchtlinge aufnehmen muss. Das Landesaufnahmegesetz regelt, wie das zu gehen hat. Frielendorf würde jetzt annähernd dazu beitragen, die Parität herzustellen. In Lampedusa, erklärt er, kommen jeden Tag 5.000 Flüchtlinge an. Die meisten von denen seien allerdings französischsprachlich und wollten mehrheitlich nach Frankreich. In Deutschland stranden mehr Flüchtlinge über die neue Balkanroute und vor allem über Weißrussland, dass nach wie vor Flüchtlingsströme als Druckmittel steuere. Kreise in Südhessen würden gleich an Städte und Gemeinden weiterleiten. Der Schwalm-Eder-Kreis möchte noch selbst steuern und Grundstücke finden.

Die GRÜNEN sind schuld und ALLE kriminell?

Dann wurde es zum ersten Mal parteipolitisch, Dietrich Hahn (CDU-Fraktionsvorsitzender) stellte fest: „Wir sind alle nicht begeistert!“ Er habe mit dem Kreis darüber gesprochen, wie das läuft. Grundsätzlich hänge das von der Regierung in Berlin ab. Die GRÜNEN verhinderten die Änderung des Asylrechtes und die Benennung weiterer sicherer Herkunftsländer. Wobei es – bei Lichte betrachtet – schwierig sein wird, Flüchtlinge aus Afrika am Ende nach Georgien als sicheres Herkunftsland abzuschieben.

In der Publikumsdiskussion setzte sich erst sehr spät das Nennen von Namen durch, daher werden auch hier keine genannt. Aus dem Publikum kamen Anregungen, Forderungen und Beschimpfungen. Beispielsweise, man solle nicht alle auf einen Haufen bringen, nicht wie in Körle nur junge Männer unterbringen, die dann morgens im Schulbus „mit de Kinner“ fahren. In Körle, so ein Bürger, seien alle verängstigt und schließen sich nachts ein. Was ist mit den Kindern, will jemand wissen und wer geht in die Verantwortung, wenn die ersten Vergewaltigungen kommen. Als erste beschwichtigende Töne versuchen durchzudringen, geht ein bisschen die Post ab: „Die sind alle kriminell!“ So ruft‘s aus der Runde. Außerdem: Frechheit! Bodenlos!“

Kurzer Wink mit dem Abbruch

Herr Weißenborn weiß, „Jeder wünscht sich Familien. Es sind in Frielendorf 30 Familien, der Rest Alleinreisende!“ In Körle gäbe es die besondere Bewandtnis, dass keine ausreichenden Schul- und Kindergartenplätze vorhanden sein und deshalb Familien nicht untergebracht werden könnten. Und er beruhigte: „Es ist den ganzen Tag jemand vor Ort!“ Eine Bürgerin, die einerseits besorgt fragte, „Haben wir wirklich die Infrastruktur? Aber zugleich erklärte, man könne nicht die Menschen alle bereits vorher zu Kriminellen zu erklären, wurde rasch niedergeschrien. Die Vorsitzende der Gemeindevertretung, Isabelle Vaupel droht kurz mit Abbruch.

Weißenborn stellt noch einmal klar: „Wir sind nicht in Lampedusa!“ Und fordert auf: „Sagen sie mir 3 Orte, wo ich die Menschen verteilen kann. Dann bauen wir kein Containerdorf.

Im Publikum sind eine Menge Menschen, die das Thema interessiert, denen man anmerkt, dass sie sich einbringen wollen und werden, eine große Anzahl Menschen, die tatsächlich die Sorge umtreibt, die nichts weiter als Klarheit haben wollen, aber dazwischen auch ein paar Gesichter, die man noch als Mitglieder der früheren Freien Kräfte Schwalm Eder identifizieren kann. So fällt dann irgendwann auch der Satz: „Auschwitz haben wir auch noch! Anheizen!“ Und eben solche, die von vornherein wissen, dass IMMER ALLES schief gehen wird und dass auch immer noch behaupten werden, wenn tatsächlich nichts schief gegangen ist.

Wie steht‘s um Sicherheit, Langeweile und Krankheiten?

Wenn’s um die Sicherheit geht, kann nichts zu teuer sein, ruft eine Frau mittleren Alters. Gibt es Security, will jemand anders wissen und ein anderer, wer sie beschäftigt, wenn sie chillen, weil sie nicht immer im Deutschkurs sind und nicht ständig arbeiten. „Haben die auch Fernseher und Handy,“ wird gefragt, nicht des Neides wegen (oder doch?), sondern gegen die Langeweile, die Flüchtlingen unterstellt werden kann. Die Menschen beschäftigt außerdem: „Was bringen die für Krankheiten mit?“ „Wer sorgt die Sicherheit?“ „Kann man das verhindern?“ „Wäre der leer stehende alte Edekamarkt keine bessere Unterbringungsmöglichkeit?“ „Wer hat den Ort festgelegt, will ein Sportkamerad wissen, der Platz muss geschottert werden und danach wird es nie wieder ein Sportplatz werden.“ Was im Übrigen auch in keinem Plan vorgesehen war …

Weißenborn und Werner sind pausenlos am Erklären: „Wir haben nicht so viele Häuser, die mitten im Wald stehen … Malsfeld hat eine Quote von 3,1 Prozent und es funktioniert … Die Containerlösung ist besser als Unterbringung in Turnhallen … wir hatten schon immer Flüchtlinge und es hat nie besondere Straftaten gegeben … es wird Betreuung geben … alle, die kommen, sind ärztlich untersucht und gesund … 5 Jahre ist die Planung … bis Jahresende muss der Landkreis weitere 500 Plätze finden.“ Und immer wieder kommt die Gegenfrage: „Wenn Sie eine bessere Lösung haben?“

Jede Menge Erklärungen

Weißenborn stellt fest: „Das ist der Anfang. Es wird weitere Gespräche geben, wenn sie die Gemüter etwas beruhigt haben. Jeder mit einer Lösung für dezentrale Unterbringung ist herzlich eingeladen, sich zu melden, dann stellen wir keine Container auf! Frielendorf ist in der glücklichen Lage, dass alles vermietet und genutzt ist. Das ist aber schlecht für die Unterbringung von Flüchtlingen.“

Der Beschwichtigungsversuch von Dietrich Hahn mit Erfahrungen aus dem Familieneigentum der alten Brauerei in Homberg schon vor Jahrzehnten mit Flüchtlingen aus Osteuropa, die gut waren, scheitert, ihm wird in Unterbrechung rufen schließlich Bereicherung vorgeworfen.

Wie wär‘s mit weniger Polemik?

Florian Remanski hat auch Angst und ist 2015 in Folge der letzten Flüchtlingskrise aus der CDU ausgetreten. Er sagt, „wir werden aber mit Polemik das Problem nicht wegkriegen. Auch über das Edeka würden wir genauso diskutieren. Er stellt eher klare Fragen: Sind die Betreiber für ein Sicherheitskonzept zuständig und gibt es ein vorfinanziertes Betreuungskonzept?

Die Antwort: Sicherheitskonzept „nein“, Betreuungskonzept „ja“ und Sprachkurse vor Ort. Und dann fragt Herr Weißenborn aus seiner Erfahrung in Körle, wo es einen solchen engagierten Menschen gibt: „Kennen Sie einen ehemaligen Polizeibeamten, der im Sportverein engagiert und vernetzt ist? Der wäre jetzt ein Gewinn!“

Das Problem mit der Kommunikation …

Vielleicht klingelt das Telefon im Rathaus Sturm? Es wird zeitnah eine weitere Infoveranstaltung geben.“ Vielleicht war die Kommunikation von Anfang an nicht besonders glücklich. Ob es mit mehr oder anderer Kommunikation besser gelaufen wäre, ist allerdings eine wackelige Hypothese. Heute Abend haben sich alle Skeptiker und Gegner gezeigt, manche haben ihre Masken fallen lassen. Nun weiß jeder, wer wie denkt und woran alle sind. Das Schöne ist, in Frielendorf kennt man sich und muss so oder so miteinander klarkommen. Am Ende auch mit neuen Frielendorfern. Und sollte das gelingen, so ist es für die einen das Schönste, für die anderen das Schlimmste, was passieren kann. Gewonnen haben schließlich beide, denn sie haben genau das hinterher schon immer alles vorher gewusst …

Mehr aus der Gemeindevertretung lesen Sie hier. (Rainer Sander)

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