SCHWALMSTADT. Heute ist genau das Urteil gefallen, das kaum jemand versteht. Aber bitte, wenn man das Gesetz nur so auslegen kann, dann erwarten uns zukünftig viele Zäune, ganz fürchterlich viele Sicherungsmaßnahmen, Absperrungen, Verbote, Hinweisschilder und jede Menge Kosten für Städte und Gemeinden.

Bürgermeister Klemens Olbrich ist offiziell verurteilt, hat eine Bewährungsstrafe über 12.000 € und lebt von jetzt an mit dem Vorwurf und dem Makel – wegen Unterlassung – fahrlässig einen Tod von Kindern herbeigeführt zu haben. Zumindest ist das juristisch erst einmal so, wenn ein Berufungsgericht nicht anders urteilt. In der schriftlichen Urteilsbegründung des Amtsgerichtes Schwalmstadt wird es mehr zu lesen geben, aber das Gericht ist zunächst der Auffassung der Staatsanwältin gefolgt, dass an bestimmten Stellen ein Verlassen des Sees nicht möglich war. Das ist wohl an vielen Ufer-Kilometern nordhessischer Seen und Flussläufe kaum anders.

Wer den Flusslauf der Schwalm, der Fulda, der Eder oder der Werra entlang geht, wird überall ein steiles und, nicht nur bei Regen, glitschiges und rutschiges Ufer vorfinden, dass kaum jemand hochklettern kann, wenn er einmal hereingefallen ist. In Frielendorf am Silbersee, im Edersee, dort gerade dann, wenn der Wasserstand niedrig ist, gibt es lange, lange Abschnitte, an denen niemand herausklettern wird, wenn er genau an dieser Stelle ins Wasser plumpst. An nahezu jedem Gewässer wird es so etwas geben. Sie alle hat die Natur genau so geschaffen, wie sie sind. Aber was ist eigentlich mit all den Felsen, auf die man klettern und von ihnen herunterfallen kann und die überall in der Natur so herumstehen? Was ist mit alten Steinbrüchen und Kiesgruben?

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Was ist an den Rückhaltebecken in Baunatal zwischen Kirchbauna und Altenbauna oder in Schwalmstadt zwischen Treysa und Ziegenhain? Bei Vollstau gibt es allein in Schwalmstadt ganz plötzlich ein zusätzliches 10 Kilometer langes Risiko. So lang und vor allem steil und rutschig sind die künstlichen Dämme, die zum Wasser hin steil und glatt sind. Und überall sind Kinder unterwegs.

Das Problem ist, es gibt keine Regel, ab wann etwas gefährlich wird. Der Teich bei Seigertshausen ist seit Jahrzehnten ein Badesee und zwar genauso, wie er jetzt ist. Er galt für viele Generationen als sicher und nie als Gefahrenquelle. Von jetzt an wird jeder Bürgermeister in seiner Kommune nach solchen Gefahrenquellen suchen, die bisher nicht als solche identifiziert wurden und dann ist eines sicher: Er wird jede Menge davon finden und er wird auch solche absichern, die vielleicht, unter gewissen Umständen und in besonderen Situationen, dann vielleicht doch ein Problem sein könnten… Sicher ist sicher! Das wird Millionen von Euro binden, die den Kommunen bereits jetzt fehlen. In Schwalmstadt und in anderen Kommunen wird über die Abschaffung der Straßenausbaubeiträge diskutiert. So etwas rückt in weite Ferne und am Ende wäre es billiger, den Kindern das Schwimmen beizubringen, als kilometerlange Zäune und Mauern zu bauen.

Was aber ist, wenn ein Bürgermeister seinen See einzäunen möchte und der Magistrat oder der Gemeindevorstand das Ansinnen ablehnen? So ein langer Zaun sprengt in der Regel immer den Kostenrahmen, den ein Bürgermeister überhaupt allein entscheiden darf. So etwas muss im Haushalt stehen oder vom Parlament beziehungsweise Magistrat/Gemeindevorstand genehmigt werden. Ist dann der Bürgermeister immer noch haftbar? Müsste er dann bei Ablehnung durch die politischen Gremien vorsichtshalber zurücktreten? Wird sich dann noch jemand wählen lassen, wenn das Risiko auf diese Weise schon bekannt ist? Oder haften dann auch die ehrenamtlichen Magistratsmitglieder? Zahlt eine Versicherung auch dann, wenn – wie in diesem Fall – eine Straftat festgestellt wird? Das wird teuer für jeden, dem man irgendein Versäumnis nachweisen kann… Und alle, die zukünftig irgendeinen Schaden haben, werden Schadensersatzansprüche wittern und Strafanzeige erstatten.

Sie merken schon, es spricht vieles dafür, ab jetzt – und zwar sofort – einfach überall einen Zaun hinzustellen. Sonst gibt es irgendwann auch niemanden mehr, der sich in ein Gemeindeparlament wählen lässt…

Ihr

Rainer Sander

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