Sommerreise führt zu Volkswagen und Plettenberg
BAUNATAL. In der Politik erkennt man Jahreszeiten am Wechsel der Begriffe. Statt Plenarsitzung, Gesetzentwurf und Kabinettsbeschluss lesen wir von Sommerinterview, Sommerreise und Sommerloch. Die Sommerbereisung des Bundeslandes führte Hessens Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir nach Baunatal zu Volkswagen und Plettenberg. Es ging um Transformation und Wandel.
Die wichtigsten Gespräche bei Volkswagen fanden nicht vor der Öffentlichkeit statt. Beim Rundgang durchs Werk zeigte Al-Wazir viel Interesse an dem, was es zu sehen und zu hören gab. Der Gast fragte stets intensiv und wissbegierig bei Jörg Fenstermann (VW) und Bastian Greiner (Plettenberg) nach. Selbstverständlich ist für den stellvertretenden Ministerpräsidenten der GRÜNEN das Thema Nachhaltigkeit und Klimaschutz gerade das vordergründigste.
Transformation beginnt beim Denken und der Einstellung
Volkswagen hat nach dem Skandal um die Abgasreinigung und dem dramatischen Verlust der Marktführerschaft in China, wo über Jahrzehnte die Gewinne des Konzerns entstanden sind, leidvoll erfahren, dass einerseits der Verbrenner Grenzen in seiner Entwicklung, Effizienz und Wirtschaftlichkeit erreicht hat und andererseits Transformation nicht einfach das Umlegen eines Schalters bedeutet. Das gleiche Denken, das in der fossilen Welt Erfolge beschert hat, führt ganz sicher nicht in die regenerative Welt.
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Transformation ist in erster Linie eine Transformation der Einstellungen und des Denkens. An dieser Stelle sind die Vordenker – wie‘s der Name sagt – immer im Vorteil. Wer heute ein Elektroauto kauft, hat Erwartungen an das Produkt, die ganz anders sind als an einen Benziner oder Diesel. Der chinesische Markt macht‘s vor und in Deutschland verkauft gerade ein „Brandenburger Hersteller mit Migrationshintergrund“ die meisten Elektroautos. Und das ganz ohne ein großes Werkstättennetz und nahezu gänzlich ohne Verkäufer in hübschen Autohäusern.
Die Menschen und Mitarbeiter mitnehmen
„Wer zu spät kommt, den bestraft der Markt“, stellte Tarek Al-Wazir nüchtern fest. Hätte Volkswagen geglaubt, die Zukunft läge beim Schaltgetriebe und Abgasanlagen, gäbe es in Baunatal bald keine Produktion mehr. Sowohl Jörg Fenstermann als auch Tarek Al-Wazir erkennen die Wichtigkeit, Menschen und vor allem Mitarbeiter rechtzeitig in die Transformation mitzunehmen. Volkswagen sei für Nordhessen der wichtigste und größte Arbeitgeber, konstatierte der Gast aus Wiesbaden und es sei schließlich nicht zu spät. Allerdings habe die Gesellschaft viel zu lange diskutiert, statt zu handeln. Wer jetzt noch von der Verbesserung des Verbrenners träumt, schade am Ende der Wirtschaft. Eine Wahrheit spürt zumindest die Stadt Baunatal: Wer keine Gewinne macht, zahlt auch keine Steuern.
Auch wurde beim Besuch deutlich, dass Volkswagen einen Weg eingeschlagen hat, der nicht nur einen großen Beitrag zur Sicherung der Zukunft in der deutschen Automobilindustrie und für den Standort Nordhessen leistet, so Al-Wazir, sondern bereits jetzt nicht mehr umkehrbar ist. Dann fallen Diskussionen um die Rettung des Verbrenners aus konservativen Politik-Kreisen im Grunde längst auf den falschen Acker und verlängern höchstens das Leiden von Autoherstellern, die tatsächlich die Zeit verschlafen haben. Dass der Besuch nicht nur ein bisschen Small Talk war, wurde aus der Tatsache deutlich, dass Jörg Fenstermann für den Gast seinen Urlaub einen Tag lang unterbrochen hat.
Deutsche Qualitätsprodukte schlagen chinesische Massenware
Wie sehr und doch zugleich unterschiedlich verschiedene Branchen im gleichen Segment mit dem chinesischen Markt umgehen, wurde beim zweiten Besuchstermin offensichtlich. Die Firma Plettenberg in Baunatal hat ihre wesentliche Transformation schon vor Jahren hinter sich gebracht. Bei der Betriebsgründung 1935 durch Großvater Plettenberg ging es noch um Laubsägearbeiten. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Unternehmen zum Fachbetrieb für Modellbau. Dafür wurden auch Elektromotoren benötigt, die schließlich selbst produziert wurden und heute den Alltag im Unternehmen bestimmen. Nach der zweifachen Transformation durch Produktumstellungen ist inzwischen eine weitere Transformation gelungen. Motoren für den Modellbau werden nicht mehr produziert, heute geht es um Hightechprodukte, in denen es auf Gewicht, niedrige Drehzahlen und Sparsamkeit ankommt, beispielsweise für Motoren, die in Drohnen zum Einsatz kommen. Sie müssen leicht sein und lange laufen, vor allem müssen sie zertifiziert sein.
Sowohl Uwe Plettenberg, der das Unternehmen gerade an seinen Nachfolger übergeben hat, als auch der neue Inhaber Bastian Greiner wissen, dass sie nur über Qualität punkten können. In China ist man auf den Massenmarkt besser vorbereitet. Zertifizierte Produkte für die Luftfahrt, in der Leistung nicht über hohe Drehzahlen – wie in der Automobilindustrie – oder preiswert produzierte Motoren generiert werden kann, zählen andere Faktoren.
Ein Transformationsfonds wäre wichtig!
Das Staunen war dem Wirtschaftsminister anzusehen und angesichts von Themen wie die Zuverlässigkeit der Motoren kam er nicht umhin zu fragen, ob die Landeklappen beim Airbus 340 auch von Elektromotoren gesteuert werden. Die sind von der Hydraulik gesteuert. Gleichwohl ist Plettenberg auch bei solch prominenten Industrieunternehmen Partner. Die meisten Kunden allerdings kommen aus Nordamerika.
Auf die nh24-Frage, was Landespolitik tatsächlich zum Gelingen der Transformation beitragen kann, erklärte Tarek Al-Wazir, dass Forschung sowie Entwicklung intensiv gefördert und Grundlagen für die Vernetzung von Wirtschaft und Wissenschaft begleitet werden, um Innovationen anzuregen, junge und wachstumsorientierte Startups zu fördern. Dafür wurde auch eine Servicestelle WirtschaftsWandel Hessen eingerichtet. Tatsächlich sei es wichtig, einen Transformationsfonds einzurichten. Der Wandel finde so oder so statt. Es geht also in erster Linie darum, im Prozess die Nase vorn zu behalten. Das nimmt Volkswagen für sich in Anspruch und Plettenberg beweist es seit geraumer Zeit mit Nachdruck.
Viele Menschen machen sich Gedanken um die Zukunft …
Wichtige Erkenntnisse aus dem Besuch sind auch, dass es viele Menschen gibt, die sich Gedanken um die Zukunft machen und die Universität Kassel eine tragende Rolle bei Innovation und für Startups spiele. (Rainer Sander)