Jahresempfang im Zeichen von Wandel und Transformation
BAUNATAL. Nordhessen zählt in Deutschland zu den fünf am stärksten vom Wandel betroffenen Regionen, betont Amira El Ahl in ihrer Anmoderation für die Podiumsdiskussion beim Baunataler Jahresempfang am Samstag. Dazu stellte Manuela Strube fest, dass Baunatal noch immer in der Mitte Deutschlands befindet. Es heißt, zusammenzurücken und Kompromisse zu finden.
Manuela Strube ging bereits in ihrer Begrüßungsansprache auf alle Bereiche ein, die aktuell die Stadtgesellschaft beeinflussen. An erster Stelle nannte sie als Thema der Zukunft die Transformation der Automobilindustrie, dann Digitalisierung, Fachkräftemangel, Schaffung von bezahlbarem Wohnraum, Klimaschutz und kommunale Wärmeplanung, Künstliche Intelligenzen und immer neue Aufgabenzuweisungen aus Bund und Land, bei gleichzeitig unstetigen Kommunalfinanzen. Und das seien nur einige von vielen Themen, die Baunatal gerade als Stadt beschäftigen.
Immer noch gerne hier!
Sie sei immer noch gerne hier, und zwar mitten im Prozess, auch wenn gerade Keiner Hurra schreit. Auf die Frage, wie abhängig die Stadt von VW sei, kam die klare Antwort: „Sehr abhängig. Aber ohne VW wäre Baunatal nicht Baunatal“. Abhängig sei aber die ganze Region Nordhessen und eigentlich säße ganz Hessen in einem Boot. Jeder kennt hier jemanden, der mit VW zu tun hat.
Richtig klar scheinen in der Podiumsdiskussion weder Auswirkungen noch Lösungen. Zuversicht und Handlungswille ist bei der Bürgermeisterin zu erkennen, alle anderen Gesprächsteilnehmer tasten sich relativ vorsichtig an das Thema Transformation heran.
VW-Werksleiter Jörg Fenstermann findet, der Standort sei mit dem aktuellen Produktportfolio auf dem richtigen Weg. Viele Menschen arbeiten hier. „Immer wenn man morgens die Augen aufschlägt, ist man mitten im Wandel.“ Das war im Werk Baunatal aber schon immer so. Wichtig sei, die Menschen mitzunehmen. Der Umstieg auf die Elektromobilität verändere auch die Produktion. Wohl mit einem Augenzwinkern auf die letzte Krise, erwähnte er, es gebe beispielsweise keine Abgasanlage mehr. VW werde kontinuierlich die Transformation vorantreiben: „Wenn Kassel das nicht schafft, schafft es keiner!“
Die Transformation der Region begann mit VW und wird beeinflusst durch VW
Landrat Andreas Siebert versuchte den Begriff Transformation für sich und die Region zu übersetzen: „Wir müssen uns in der Region neu erfinden.“ Die Region verfüge über eine rege Handwerkerschaft, die sich den neuen Regeln stellt. Eine zentrale Frage sei, wie man es schaffe, junge Menschen für eine Ausbildung zu begeistern. Dafür brachte er eine gute Botschaft mit: der Kreistag habe die Gründung eines Berufsorientierungszentrums beschlossen. Wenn’s Baunatal schlecht geht, dann auch dem Kreis.
Amira El Ahl kennt die Vorhersage von zukünftig 17.000 unbesetzten Stellen, zu der der Landrat ergänzt, dass vor allem 8.000 Fachkräfte fehlen werden.
Regierungspräsident Mark Weinmeister blickte zunächst zurück in die Geschichte von Volkswagen. Auch die Gründung des Werkes in Baunatal sei damals bereits eine Transformation gewesen. Nordhessen wäre eigentlich als Agrarregion gestartet, bis die Strahlkraft von VW kam. Die Region spürt VW. Mit der damaligen Transformation sei Nordhessen zum Wirtschaftsstandort geworden und jetzt werde es mit der Universität Kassel zum Wissenschafts- und Technologiestandort. Er ging auch auf die Infrastruktur von Baunatal ein. Sie biete viel für die Region. Gut, dass im Zweckverband Region Kassel alle zusammenarbeiten. Die Frage, ob das gleichzeitig bedeutet, dass sich auch alle dafür verantwortlich fühlen, wurde (noch) nicht gestellt.
Transformation im Energiebereich besonders schwierig?
Auch die EAM ist in Baunatal zu Hause. Dr. Breker erklärte die Schwierigkeiten bei der Verteilung von Fernwärme und dass die Sicherstellung des Netzes schwieriger werde, um am Ende erneuerbare Potentiale nutzen können. Das ganze ökologisch und ökonomisch darzustellen wird schwieriger. Er ist sich sicher, zuhause wird die Wärmepumpe eine große Rolle spielen. Vor kommunaler Wärmeplanung hat er keine Angst. Es werde zur Zusammenarbeit kommen zwischen Kommunen und Spezialisten, die sich auch an der Hochschule in Kassel herausbilden. Die EAM habe vor allem Daten. Zukünftig gelte es dicke und dünne Kabel zu verlegen. Bisher gab es nur einen Standard.
Noch beansprucht die Aufzählung der Schwierigkeiten also mehr Erklärungszeit als das Beschreiben von Wegen. Auf Lösungen kann Baunatal schlecht warten. Manuela Strube ließ in ihrer Begrüßungsansprache wenig aus. Gute Zusammenarbeit und reger Austausch seien Markenzeichen für den Umgang mit der Baunataler Wirtschaft, vertreten durch die Wirtschaftsgemeinschaft. Selbstbewusst betonte sie die Rolle der Stadt für die gesamte Region: die Menschen ließen sich nicht von Gemarkungsgrenzen vorschreiben, wo sie einkaufen, Kultur wahrnehmen, Musikschule und Schwimmbad benutzen. In der Zusammenarbeit in der Region würden inzwischen tatsächlich Reibungsverluste vermieden.
Gemeinsam die Frage beantworten, wo Baunatal im Jahr 2050 stehen soll
Mit der Landesförderung von 450.000 €, so Strube, will die Stadt mit digitalen Technologien und einer Klimaschutzmanagerin mehr gezielte Entscheidungen zum Klimaschutz treffen. Die Attraktivität der Stadt bleibe ungebrochen, was sich in der nach wie vor hohen Nachfrage nach Wohnraum zeige. Dazu trägt das Baunataler Bildungskonzept bei und im Bereich Bildung/Kultur möchte die Stadt durch Ausbau von Bildungseinrichtungen und die Schaffung kreativer Angebote die Potenziale der Kinder sowie der Bürgerinnen und Bürger entfalten und Ihnen vielfältige Möglichkeiten bieten.
Der Wandel sei in Baunatal ein gemeinschaftliches Projekt, an dem alle beteiligt sind. Alan Kay habe einmal gesagt: „die Zukunft kann man am besten Vorhersagen, wenn man sie selbst gestaltet.“ Das könnte ein Motto sein, um die Stadt noch lebenswerter, nachhaltiger und zukunftsorientierter zu gestalten. Um die Stadtgesellschaft auf diesem spannenden Weg mitzunehmen, plant die Stadt für 2024 Workshops zur Beantwortung der Fragen: „Wie sehen wir Baunatal im Jahr 2050“ und „wie wollen wir im Baunatal des Jahres 2050 leben?“
Musikalisch entspannt durch den Abend
Allein das Format der Veranstaltung steht für den frischen Wind, der in Baunatal weht. Die Sportakrobaten des KSV und die TSG Baunatal zeigten zwischendurch ihr Können. Für die angenehm entspannte musikalische Begleitung sorgte die Combo des Heeresmusikkorps Kassel unter der Leitung von Stabsfeldwebel Timo Birkenbusch, mit dem die Stadt Baunatal seit vielen Jahren partnerschaftlich verbunden ist. Stadtverordnetenvorsteher Reiner Heine sprach das Schlusswort als Musiker-Kollege: „es ist erstaunlich, dass sie ohne Tenorsaxofon so gut Musik machen. (Rainer Sander)